Die Diversifikation ist tot – es lebe die Diversifikation!
Aktien, Anleihen, Kryptowährungen – nahezu alle Anlageklassen haben seit Jahresbeginn deutlich verloren. „Nicht alle Eier in einen Korb legen“, sprich: Vermögen breit streuen, lautet eine der ältesten und wichtigsten Börsenregeln. Hat sie ausgedient?
Was haben eine Anleihe mit der Top-Bonitäts-Note „AAA“ und ein Technologie-Aktienfonds gemeinsam? Auf den ersten Blick nicht viel: unterschiedliche Marktsegmente (Aktien vs. Renten), unterschiedliche Risikoeinstufung (sicherer Hafen vs. Spekulation). Wenn man sich jedoch den Kursverlauf der 100-jährigen österreichischen Staatsanleihen in den vergangenen 18 Monaten anschaut, könnte man denken, es handele sich um eben jenes spekulative Aktiensegment, das wie die bonitätsstarken Anleihen ca. 70% an Wert eingebüßt hat!
Sicher ein extremes Beispiel, da die wenigsten Privatanleger diese sehr zinssensitiven, langlaufenden Rentenpapiere in ihren Depots haben. Dennoch verdeutlicht es, in welchem Dilemma sich Investoren seit geraumer Zeit befinden.
In unsicheren Zeiten galt von jeher: Diversifikation ist Trumpf! Dass wir in unsicheren Zeiten leben, kann angesichts hoher Inflationsraten, anhaltender Lieferengpässe, der unfassbaren russischen Aggressionen und der wieder steigenden Covid-Inzidenzen niemand bezweifeln.
Rentenmärkte leiden unter Zinserhöhungen
Hat man als vorsichtiger Anleger entsprechend gehandelt und zum Jahreswechsel seine Aktienengagements weg vom Krisenherd Ukraine und den vermeintlich am meisten in Mitleidenschaft gezogenen europäischen Nachbarn diversifiziert, erlitt man trotzdem teils heftige Einbußen. In den USA summieren sich z.B. die Halbjahresverluste je nach Marktsegment auf 15% bis 30%. Die asiatisch-pazifischen Märkte verloren zwischen 10% und 20%, der MSCI Welt Aktienindex kam auf ein Minus von 20%.
Zum Glück gibt es noch andere Anlageklassen und unter dem Aspekt der Risikostreuung ist der Rentenmarkt unverzichtbar. Eigentlich! Denn im aktuellen Zyklus steigender Zinsen leiden auch die festverzinslichen Wertpapiere. Selbst die als „sichere Häfen“ geltenden US-Staatsanleihen bescherten den Anlegern im ersten Halbjahr 2022 je nach Restlaufzeit zwischen 5% und 25% Verlust. Deutsche Bundesanleihen erlitten Kursrückgänge zwischen 10% und 30%.
CO2-Investments punkten
Mit Hedgefonds, die gerade für so ein Marktumfeld prädestiniert erscheinen, ging es den Anlegern nicht besser. Da auch Edelmetalle keine (Gold), oder sogar negative (Platin und Silber) Halbjahresrenditen lieferten und bei Industriemetallen die Situation noch komplizierter aussah, stellt sich die Frage: Ist die Diversifikation im Jahr 2022 gestorben? Natürlich nicht! Es gab auch in diesem schwierigen Marktumfeld Anlagen, die geholfen haben, Verluste abzufedern und Risiken zu streuen. Ob man angesichts der politischen Umstände jedoch in fossile Brennstoffe investieren will, sei dahingestellt. Ein Investment in Nahrungsmittel ist unter ethischen Gesichtspunkten schon immer fragwürdig gewesen. Zumindest mit CO2-Investments konnte man punkten, sowohl im Depot als auch für die Umwelt.
Wir sind sicher: Wie in früheren Krisenzeiten, als Marktmechanismen zeitweise ausgesetzt schienen, so wird auch dieses Mal die Diversifikation wieder ihre Wirksamkeit entfalten. Man braucht vielleicht einen längeren Atem.
Über den Autor
Seit mehr als 30 Jahren fühlt sich Udo Rieder dem Wertpapiergeschäft verbunden. Der Ausbildung bei der Deutschen Bank AG in Nürnberg folgten Einsätze als Investmentmanager in Lübeck und Genf, wo er das internationale Geschäft sehr wohlhabender Klienten betreute. Seine Rückkehr nach Deutschland führte ihn über die Leitung der Vermögensverwaltung für Nordbayern hin zur Verantwortung für die Investmentmanager im neu gegründeten Geschäftsbereich Private Wealth Management. Im Jahr 2008 ist er zur UBS Deutschland AG gewechselt, um die neu zu eröffnende Niederlassung Nürnberg mit aufzubauen. Seine berufliche Tätigkeit wurde flankiert von berufsbegleitenden Studien an der Bankakademie und der European Business School. Zudem ist er zertifizierter Eurex-Anlageberater. Im Januar 2015 trat Herr Rieder als Gesellschafter der KSW bei, um seine Kunden als Portfoliomanager weiterhin individuell zu betreuen.