EZB betreibt gefährliches Spiel
Mit der europäischen Einheit ist es spätestens vorbei, wenn es um die Finanzierungskosten geht: Die Länder im EU-Süden müssen für geliehenes Geld mehr zahlen als die im wirtschaftlich stabileren Norden. Im Sommer 2022 konnten die anschwellenden Renditespreads zwischen Deutschland und den europäischen Südländern nur mit Hilfe eines neuen EZB-Programmes im Zaum gehalten werden. Doch kann die Zentralbank dauerhaft gegen den Markt durchhalten?
Das Programm trägt den Namen Transmission Protection Instrument, kurz TPI. Damit werden praktisch unbegrenzte Anleihekäufe von hochverschuldeten Ländern möglich. Diese sollen verhindern, dass die Renditen für Staatsanleihen der unterschiedlichen EU-Mitglieder noch weiter auseinanderdriften. Der EZB-Rat entscheidet, wann das Kriseninstrument eingesetzt werden darf. Dabei muss der Rat zwar einige Bedingungen in Bezug auf eine solide Haushaltspolitik oder eine nachhaltige makroökonomische Politik der betroffenen Länder einhalten, doch Ökonomen bemängeln diese als zu breit gehalten und wenig präzise.
Größtes Risiko geht von Italien aus
Mit knapp 20 Mrd. Euro wurde bereits im vergangenen Sommer versucht, diese Renditespreads nicht zu groß werden zu lassen. Das ist auch erstmal gelungen. Doch es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Märkte die Bereitschaft der EZB erneut herausfordern. Die größten Risiken hierfür gehen derzeit von Italien aus. Ein Blick auf die Forderungen und Verbindlichkeiten der Notenbanken in der Eurozone genügt, um das Dilemma zu erfassen. Per Ende November betrug der Target-2-Saldo der Deutschen Bundesbank 1,23 Billionen Euro, während das Schlusslicht Italien im September einen Negativsaldo von 660 Mrd. Euro aufwies.
Erinnern wir uns noch an den 16. September 1992, als die Bank von England verkünden musste, dass sie aus dem europäischen Wechselkursmechanismus austritt? Trotz massivster Zinserhöhungen und Interventionen war das Britische Pfund nicht mehr zu halten.
Die Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie reimt sich (Mark Twain)
Ist die Botschaft von damals komplett verhallt? Haben die EZB-Banker und die Politiker aus der Geschichte gar nichts gelernt? Warum soll sich diesmal politisches Wunschdenken dauerhaft gegen die Realität der Finanzmärkte durchsetzen können? Irgendwann wird es sich rächen, wenn Schuldner für mangelhaftes Wirtschaften mit subventionierten Zinsen „belohnt“ werden.
Der CISS-Indikator (ein Stressindikator für das Finanzsystem im Euroraum) ist immerhin schon auf den höchsten Stand seit ca. zehn Jahren geklettert. Das verwundert nicht, angesichts der vielen ungelösten Probleme in Italien. Die teilstaatliche Krisenbank Monte dei Paschi verbrannte allein in den vergangenen 14 Jahren fast 25 Mrd. Euro, ein Ende ist nicht in Sicht. Die Wirtschaftsprüfer von PwC gehen davon aus, dass die notleidenden Kredite in den Büchern der Bank wieder deutlich zunehmen. Trotzdem erlaubt ihr aber die EZB wieder Dividenden zu zahlen. Weitere Milliardengräber tragen Namen wie Alitalia, TIM oder Acciaierie d’Italia. Wenig überraschend übten kurz vor Weihnachten ranghohe Vertreter der Regierung in Rom deutliche Kritik an der jüngsten Zinserhöhung der EZB und bezeichneten diese als Fehler. Warm anziehen gilt also nicht nur im Hinblick auf die gestiegenen Energiekosten.
Über den Autor
Manfred Rath ist seit mehr als 35 Jahren im Vermögensanlagegeschäft tätig. Bereits nach der Ausbildung ging er den klassischen Weg zum Wertpapierspezialisten in der damaligen Bayerischen Vereinsbank. Dort übernahm er auch die Leitung eines Teams in der Nordoberpfalz, bevor er nach 27-jähriger Zugehörigkeit zur BHF BANK wechselte. In diesen 6 Jahren bei der Privatbank war der Schwerpunkt erneut die Vermögensanlage und -allokation sowie die stellvertretende Leitung der Niederlassung Nürnberg. Seit Juli 2012 ist er als Portfoliomanager für die KSW tätig.